Szenen für zwei Sänger und fünfzehn Instrumentalisten (Neufassung 1985)
Libretto von Wolfgang Willaschek · Musik von Udo Zimmermann
In der Reihe Wider das Vergessen
Zum 75. Gedenkjahr der Widerstandsbewegung
Ab 13 Jahren
„Nicht schweigen, nicht mehr schweigen.“
Hans
„Wenn einer anfängt, sprechen viele nach.“
Sophie
Trailer
Ab Sommer 1942 verbreitete die studentische Gruppe „Die Weiße Rose“ im süddeutschen Raum Flugblätter gegen Hitler und das nationalsozialistische Regime. Sie forderte darin zunächst zum passiven Widerstand auf, aber schon bald auch zum Sturz der Regierung. Die Flugblätter entstanden aus der Überzeugung heraus, dass man nicht mehr schweigend zuschauen dürfe, sondern Widerstand gegen das verbrecherische System leisten müsse. Die fünf Münchner Studentinnen und Studenten sowie ihr Professor bezahlten diese Überzeugung mit ihrem Leben. Sie wurden 1943 zum Tode verurteilt und hingerichtet.
Udo Zimmermann (*1943) skizziert mit Weiße Rose eine „innere Handlung“: „Mich bewegte weniger die Frage nach der Bewältigung von Faschismus als die, wie wir mit Wahrheit umgehen.“, so der Komponist. „Wir fragten uns, was man getan hätte, wäre man damals selbst in einer solchen Situation gewesen. Und: Was tut man heute zwischen Tatbereitschaft und Opportunismus? Man kann die Wahrheit nur finden, wenn man ständig sein Gewissen prüft, persönliche Verantwortung empfindet.“ Die facettenreiche Partitur bewegt sich zwischen musikalischem Aufschrei und innerer Stille. Die Uraufführung fand 1986 in Hamburg statt; seitdem gehört das Werk zu den erfolgreichsten deutschen Nachkriegsopern.
Die mit großer Hingabe agierenden Darsteller werden nicht zu grenzgängerischen Aktionen genötigt, sondern zeichnen sich durch eine sparsame, natürlich bleibende Mimik und Gestik aus. Dennoch – ein echtes Markenzeichen – heben sich die emotionalen Unterschiede zwischen den Szenen scharf ab. Die höhensichere Emma Moore pflegt dabei eine facettenreiche, auch das Grelle und Schneidende gekonnt mit einbringende Gesangskunst, während Florian Neubauer wohl seine besonderen Stärken im Rezitativischen und in der akribischen Textausdeutung hat. Takahiro Nagasaki als musikalischer Leiter des Abends wie die 15 Instrumentalisten des Philharmonischen Orchesters Altenburg-Gera tragen souverän ihren Teil zu einer packenden Wiedergabe der anspruchsvollen Partitur bei.
Volker MüllerJuliane Stephan eröffnet den Solisten vor allem einen Pfad durch das Ausdrucksspektrum vom „wachen Herz“ zur „Vision vom Ende“. Bei Emma Moore merkt man das genau stimmige, leichte vokale Flirren hinter dem jungen gesunden Sopran. Florian Neubauer zeigt, dass er viel mehr an Nachdruck und Differenzierung modellieren kann als ein nur perfekt runder Bariton. Diese beiden jungen Sängerdarsteller stellen sich intensiv und kongruent der inneren Dramaturgie, das hört und sieht man in jeder Sekunde. Zimmermanns kantabel gedachte Instrumentation mit ihren wirkungsvollen Gemischen für Harfe, Klavier und Schlagwerk findet in Takahiro Nagasaki einen Dirigenten, der Rundung und Reibung genau ausbalanciert. Die 15 Musiker aus dem Philharmonischen Orchester Altenburg-Gera sind prächtig disponiert. „Weiße Rose“ erfährt in Gera die Überhöhung zum deutschen Requiem mit mehr Traurigkeit als Trost und dem Aufruf zum Widerstand gegen Antihumanität gestern, heute, morgen.
Roland DippelFür ein in der Zeitgeschichte bewandertes und mit den Stilmitteln der neueren Musik vertrautes Publikum hat das Stück einen hohen Stellenwert. Im andern Fall ist mit Problemen zu rechnen, zumal die Gesangsparts so expressiv angelegt sind, dass die Textverständlichkeit oftmals nicht unbedingt im Vordergrund steht. Die Geraer Lesart von Juliane Stephan (Regie) und Ronald Winter (Ausstattung, Video) versucht, gangbare Wege für alle zu eröffnen. Man bekommt die nötigen Informationen zum historischen Hintergrund und sieht eine sorgfältig gearbeitete Inszenierung, der auch nicht klug dosierte Hinweise aufs Hier und Heute fehlen.
Volker MüllerDas von Takahiro Nagasaki konzentriert geführte und differenziert musizierende 15-köpfige Instrumentalensemble des Philharmonischen Orchesters Altenburg-Gera vermochte diesen Ansatz spannungsreich auszuleuchten. Damit korrespondierte die szenische Realisierung des Werkes. Mit subtiler Personenführung erreicht Regisseurin Juliane Stephan eine zwingende Darstellung des Geschehens. Unterstützt wird sie dabei durch Ronald Winters sparsame Bühnen- und Kostümgestaltung. Lediglich ein die Zellen der beiden Inhaftierten trennendes Eisengitter sowie helle Wandteile kennzeichnen die Stätte, wo Sophie und Hans die letzten Stunden vor ihrer Hinrichtung verbringen. Winters Videoeinblendungen zu Beginn des Stückes vermitteln überdies Hinweise zur Vorgeschichte des Geschehens. Mit großem Einfühlungsvermögen verliehen die Sopranistin Emma Moore und der Bariton Florian Neubauer den Partien der Sophie bzw. des Hans glaubwürdiges, beeindruckendes Profil. Die beiden Mitglieder des Thüringer Opernstudios wurden den anspruchsvollen vokalen wie auch den darstellerischen Anforderungen ihrer Partien vollauf gerecht.
Dietrich BretzJuliane Stephan inszeniert dieses collagenhafte Zwei-Personen-Stück ganz aus dem Innenleben der Geschwister heraus sehr eindrucksvoll und zeichnet ein intimes Bild ihrer Erinnerungen, ihrer Hoffnungen und des Ringens mit sich selbst. Als „inneres Theater“, so bezeichnen Texter und Komponist ihr Werk, tendiert dieses mehr zur Kantate denn zum Drama. Die Musik ist dadurch mehr auf die Ausdeutung der Texte gerichtet. Dafür findet der Komponist mit dröhnenden Schlagwerkpassagen und lyrischen Vokallinien deutliche Kontraste, die sowohl von der Sängerin und dem Sänger als auch von den 15 Instrumentalistinnen und Instrumentalisten ausgesungen und ausgespielt werden. Die 15 ausgewählten Mitglieder des Philharmonischen Orchesters leisten als Kleinorchester unter Leitung von Takahiro Nagasaki Vorzügliches bei der Wiedergabe der nicht einfachen Partitur.
Manfred HainichFotos: Ronny Ristok